Vertikales Gemüse: Gemüse-Anbau
auf dem Großstadt-Balkon
Viele Menschen sehnen sich danach, ihr eigenes Essen anzubauen
- einen eigenen Garten können sich aber die wenigsten Städter
leisten. Dass es trotzdem geht, zeigt Mark Ridsdill Smith aus
London in seinem Blog VerticalVeg: Auch auf Fensterbänken
und Balkonen lässt sich mehr anbauen, als man denkt, hat
er herausgefunden. David Rotter hat mit ihm gesprochen.
Wie bist du dazu gekommen, Gemüse
auf einem 6-Quadratmeter-Balkon anzubauen - der ausgerechnet
auch noch nach Norden zeigt!
Ich wollte schon seit Jahren mein eigenes Essen anbauen -
aber dachte, ich brauchte dazu einen Garten oder einen Schrebergarten.
Ich trug mich also auf die Warteliste für einen Kleingarten
ein und wartete mehrere Jahre. Ich habe dann aber festgestellt,
dass die Warteliste 40 Jahre lang war! Ich wäre also
über 70 Jahre alt, wenn ich ihn bekommen würde!
So war die einzige Möglichkeit, zu schauen, was ich auf
dem Balkon anbauen könnte. Nach einigen nicht sehr erfolgreiche
Versuchen war ich dann ziemlich überrascht, wie viel
Ertrag möglich ist.
Warum denkst du, dass die Idee gut genug ist, um sie auf die
Art und Weise bekannt zu machen, wie du es mit deinem Blog
tust? Rund um den Globus leben immer mehr Menschen in Häusern
ohne Garten. Allein im Vereinigten Königreich, haben
40% der Haushalte keinen eigenen Garten und die Wartelisten
für Kleingartenanlagen werden immer länger. Derzeit
40 Jahre in Camden, London, wo ich wohne.
Die weltweite städtische Bevölkerung ist auch zum
ersten Mal in der Weltgeschichte größer als die
ländliche Bevölkerung. Um diese anbauende Bevölkerung
nachhaltig zu ernähren, müssen mehr Lebensmittel
in Städten angebaut werden. Balkon und Fensterbank reichen
nicht allein für alle unsere Lebensmittel. Aber das kann
einen wichtigen Beitrag leisten - wie mein Anbau-Tagebuch
demonstriert. Angenommen, der durchschnittliche städtische
Haushalt kann 5 bis 15% seiner Nahrung selbst anbauen, dann
wären die potenziellen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit
durchaus von Bedeutung.
Es ist auch vom Standpunkt der Nachhaltigkeit aus eine tolle
Sache: Es spart Transport und die Kühlung. Es reduziert
Speiseabfälle, denn du erntest nur, was du brauchst,
wenn du es brauchst. Und es gibt eine Menge von Küchen-Abfällen,
die bei der Gartenarbeit als Kompost wiederverwertet werden
können.
Aber ich denke, es gibt auch persönliche
Gründe...
Richtig. Lebensmittel anzubauen bietet signifikante Vorteile
für den Menschen. Es ermöglicht den Städtern
eine engere Verbindung und engeren Bezug zu den Jahreszeiten,
ihren Lebensmitteln und der natürlichen Welt. Gartenarbeit
ist bereichernd, entspannend und kreativ. Es bringt die Natur,
viel Grün, Blumen und wilde Lebendigkeit, in dein Leben
und deine urbane (betonierte?) Nachbarschaft. Und natürlich
hast du frischeres, gesünderes Essen im wahrsten Sinne
des Wortes direkt vor der Haustür. Und du wirst neue
Nachbarn kennenlernen und möglicherweise eine ganze Bewegung
in deiner Nachbarschaft starten - Gemüse anbauen ist
eine gemeinsame Sprache mit Breitenwirkung zwischen Generationen
und Kulturen.
Du sagst, man kann etwa 10% seiner
Nahrung auf so engem Raum wie einem Balkon anbauen - was waren
deine Erfahrungen? Wie viel war auf deinem kleinen Nordbalkon
möglich?
Nun, das war ja sozusagen mein Experiment: Wie viel Essen
kann ich ohne Garten anbauen? Also protokollierte ich jeden
Tag das Gewicht und den Wert der Ernte. Im Jahr 2010 lag der
Gesamtwert angebauten Gemüses bei 899,99 £ (€
1.400), mit einem Gewicht von 83,66 kg. Also habe ich dann
im Jahr 2011 versucht, herauszufinden, ob ich £ 1000
erreichen kann - aber ich musste das Experiment abbrechen,
weil ich mittendrin in eine andere Wohnung zog. Übrigens
die 10%-Zahl ist eine sehr grobe - und es hängt davon
ab, ob du den Wert oder die Energie- oder Nährstoffaufnahme
meinst. Bezogen auf den Wert der Nahrung, haben wir rund 15%
unseres jährlichen Bedarfs angebaut. Die angebauten Gemüse
und Kräuter haben auch einen guten Prozentsatz der essentiellen
Nährstoffe enthalten, die wir brauchten, aber der Energiegehalt
wäre wesentlich niedriger - vielleicht so etwas wie 5%.
Ich versuche momentan, hier genauere Berechnungen anzustellen.
Wie startet man also einen Balkon-Garten?
Ich würde empfehlen, einige Zeit zu beobachten und mehr
über deinen Anbau-Raum zu erfahren. Das könnte der
Balkon sein, ein Dach oder Fensterbretter. Welche Orte sind
möglich? Gibt es vertikale Flächen, die du verwenden
kannst? Kannst du irgendwo außen ein Regalbrett anschrauben?
Oder kannst du Schnüre befestigen, an den Pflanzen ranken
können? Oder kannst du irgendwo Hängekörbe
anbringen? Welcher Platz bekommt wie viel Sonne? Wie kann
man Wasser dorthin bekommen? Wie windig ist es? Wie würden
die Pflanzen sich gegenseitig beeinflussen, wenn sie groß
geworden sind? Kommst du noch überall dran? Dann kannst
du einen Plan machen, welche Pflanzen gut an welchem Platz
wachsen könnten.
Dann kannst du die Behälter zu wählen. Verschiedene
Materialien haben sehr unterschiedliche Eigenschaften: Zum
Beispiel unglasierte Terrakotta-Töpfe sind porös
und trocknen schneller als Kunststoff-Töpfe. Metallbehälter
werden in der Sonne sehr heiß und im Winter sehr kalt.
Holz ist ein guter Isolator und hilft, eine gleichmäßigere
Temperatur zu erreichen. Wenn du was aufhängen möchtest
oder auf ein Regal stellen, spielt auch Gewicht eine Rolle
- und so weiter. Verschiedene Gemüse brauchen verschieden
große Töpfe. Und mit cleverer Planung kannst du
einen Topf mehrfach ernten: Sobald er abgeerntet ist, pflanzt
du gleich das nächste Gemüse. Aber dazu muss man
wissen, in welchem Monat etwas wächst und wie lange es
zur Ernte dauert. Vor allem auf begrenztem Raum ist es gut,
einen Plan zu machen, um zu entscheiden, wann du die einzelnen
Kulturpflanzen säst und wo sie wachsen sollen. Zunächst
allerdings empfehle ich, einfach mit ein paar Pflanzen anzufangen
und guten Kompost zu machen. Beobachten, experimentieren und
ein offener Geist sind die richtigen Zutaten am Anfang - und
keine Sorge, wenn etwas nicht funktioniert.
|