Urban Farming wächst, und zwar im wahren Sinne des Wortes:
In New York bauen immer mehr Leute Gemüse an. Platz dafür
findet sich auf Dächern - und auf stillgelegten Baustellen.
Jeder Koch wünscht sich seine eigene Farm", sagt Chrissa
Yee. Sie muss es wissen: Bevor sie als Projektleiterin im New Yorker
Restaurant Riverpark anheuerte, arbeitete sie bei namhaften Gourmet-Magazinen.
Jetzt steht sie mit mir ein paar Schritte vom Restaurant entfernt
zwischen gelben Tomaten und tieflila Auberginen - die noch am Stengel
hängen. Riverpark liegt direkt am East River in Manhattan,
in einem Hochhaus, das das New Yorker Alexandria Center for Life
Science beherbergt. Zwei Wolkenkratzer sollten es werden, doch dann
kam der Immobiliencrash, und die Baustelle nebenan wurde stillgelegt.
"Im Moment gibt es etwa 700 solcher Flächen in New York",
sagt Yee. Darin sah Chefkoch Tom Colicchio seine Chance: Er besorgte
sich die Genehmigung für Gemüseanbau mitten in New York.
Dass die Pflanzen auf Betonplatten stehen, ist nicht unbedingt von
Nachteil: "Okraschoten wachsen eigentlich besser in südlicheren
Gefilden", erklärt Chrissa Yee. "Aber der Heat Island
Effect bewirkt, dass sie hier bei uns über zwei Meter hoch
werden." Dicke grüne Schoten hängen an den Pflanzen,
die diesen Sommer bereits gut einen Meter geschafft haben. Frischeres
Gemüse kann die Küche nicht bekommen. Zig
Sorten Basilikum wachsen unter anderem hier, grüne und rote
Salate, Rote Bete, Tomaten in allen möglichen Farben, scharfe
rote Pfefferschoten, Melonen und die im Moment angesagten merkwürdigen
Gurken namens Poona Kheera. Im September 2011 standen die ersten
der 7.400 Container - und New Yorker erkennen deren Gestalt sofort:
Es sind Milchkästen. Dort hinein sät Zach Pickens gerade
Mustard Greens (Indischen Senf). Der Bauernsohn aus Ohio, der die
Farm zusammen mit Kollegen bewirtschaftet, kam der Liebe wegen nach
New York - und wollte einen Garten. In seinem neuen Zuhause gab
es dafür nur an einer Stelle Platz: auf dem Dach. So lernte
er alles, was man über Urban Farming wissen muss. Jetzt gibt
er hier an den Wochenenden Workshops für Leute, die in New
York privat Gemüse anbauen wollen. Doch jeden Monat kann es
soweit sein, dass die Farm die Baustelle verlassen muss - sie ruht
ja nur. Geübt hat die Mannschaft des Riverpark den Umzug bereits:
Als letztes Jahr der Hurrikan Irene auf New York zuraste, packten
alle vom Kellner bis zur Küchenhilfe mit an, um binnen sechs
Stunden fast alle Gemüsekisten ins Haus zu holen. Sechs Stunden
hat das gedauert. Dicke Oberarme haben auch die Farmer von Brooklyn
Grange. Sie eröffneten 2010 eine Rooftop Farm: Hoch oben auf
einem großen ehemaligen Lagerhaus in Queens schütteten
sie extraleichte Spezialerde an, auf der sie seither tonnenweise
Gemüse anbauen. Und das muss dort ja wieder weg - die Ernte
verkauft Brooklyn Grange an Restaurants und auf Märkten. Dieses
Jahr drängeln sich die Farmer dazu nicht mehr neben Büroangestellen
aus dem Gebäude: Brooklyn Grange hat jetzt einen eigenen Aufzug.
Einmal in der Woche darf jedermann damit aufs Dach fahren - und
sich anschauen, wie die Schmetterlinge mit den Bohnen im Wind um
die Wette schaukeln. Doch nicht alle Urban Farming-Flächen
in New York sind auf Profit ausgerichtet. Begonnen hat die Bewegung
mit Privatleuten, die vom Gartenglück träumten. Bereits
in den 70er Jahren eroberten sich diese Pioniere Brachflächen
in der Nachbarschaft und wandelten sie in Community Gardens um.
Daran knüpfen heute auch Bildungsprojekte
an: "Wir haben hier mit Leuten zu tun,
die nicht wissen, dass Möhren unter der Erde wachsen",
sagt etwa Gina Keatley, die mit Nourishing USA gegen Armut und ernährungsbedingte
Krankheiten kämpft. Urban farming" ist die Antwort auf
derlei prekären Lebensumstände. Eine von ihrer Politik
zutiefst enttäuschte Gesellschaft wie die US-amerikanische
fängt sozusagen bei Adam und Eva wieder an.Gartenaktivisten
betreiben auf innerstädtischen Brachen Gärtnereien, in
denen Teenager das organische Gärtnern erlernen. Notfalls auch
- mit entsprechenden Behältern für Erde und Pflanzen -
auf asphaltierten Flächen. Meistens erhalten die Jugendlichen
sogar einen Lohn von etwa fünf Dollar die Stunde. Das Gemüse
wird auf von den Kindern und Jugendlichen selbst betriebenen "Bauernmärkten"
verkauft. So entstehen inmitten der Zentren des Nordens Varianten
einer informellen Ökonomie wie wir sie bisher nur aus den Städten
des globalen Südens kannten.
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